POLITISCHE DEBATTE: „WO BLEIBT DIE PATIENTENMILLIARDE?“ mit Andreas Huss (Österreichische Gesundheitskasse = ÖGK)
Andreas Huss ist als Dienstnehmervertreter ab 1.Juli turnusgemäß Obmann der ÖGK. Er ist seit vielen Jahren in der Sozialversicherung tätig. Huss hielt einen interessanten Vortrag über die Auswirkungen der Sozialversicherungsreform 2019 und stand anschließend für eine angeregte Diskussion zur Verfügung. Kurz zu den besprochenen Themen:
Sozialversicherungsreform: Mit der Reform der Sozialversicherung 2019 gab es drei wesentliche Veränderungen. Erstens kam es zu einer Strukturreform (Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger). Zweitens zu einer de facto Abschaffung der Selbstverwaltung (in der ÖGK haben zulasten der Dienstnehmervertreter die Dienstgebervertreter die Mehrheit). Drittens wurde privaten Gesundheitsanbietern der Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen wesentlich erleichtert.
Patientenmilliarde: Die von der damaligen Regierung groß angekündigte Patientenmilliarde war nichts als ein Marketinggag. Tatsächlich wurde per Gesetz der Unfallversicherungsbeitrag für Unternehmer gesenkt und in Folge Überweisungen für die Übernahme von Leistungen bei Arbeitsunfällen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt an die ÖGK erheblich reduziert. Zudem wurden die Überweisungen an die privaten Krankenanstalten deutlich erhöht. Durch diese Maßnahmen wurden der ÖGK bis 2023 ca. 600 Mio. € entzogen. Die bisherigen Fusionskosten hat der Rechnungshof mit ca. 250 Mio. € ermittelt. Der angekündigten Einsparung von einer Milliarde € stehen tatsächliche Mehrkosten von 850 Mio. € gegenüber.
Budget der ÖGK: Die ÖGK hat derzeit ein Gesamtbudget von rund 17 Mrd. €. Die Verwaltungskosten betragen rund 400 Mio.€ bzw. 2,5 %. Im Gegensatz dazu nehmen die privaten Krankenversicherungen pro Jahr rund 2,5 Mrd. € an Prämienleistungen ein. 1,4 Mrd. € werden an Leistungen ausgezahlt.
Leistungsvereinheitlichung: Seit 2020 wurden in der ÖGK alle nichtärztlichen Leistungen vereinheitlicht. Das heißt bei therapeutischen Berufen wie Psychotherapie, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie usw. gibt es österreichweit für die Versicherten der ÖGK keine Leistungsunterschiede mehr. Ziel ist auch hinsichtlich der ärztlichen Hilfe einheitliche Leistungen zu erreichen, doch stehen hier der ÖGK neun autonome Ärztekammern gegenüber.
Fehlentwicklungen: Obwohl Österreich genug Ärzte hat wurde die Versorgung im öffentlichen Gesundheitswesen schlechter. Die Zahl der Kassenärzte ist in den letzten Jahren gesunken, die Zahl der Wahlärzte enorm gestiegen. Von den rund 10.000 Wahlärzten sind jedoch nur 460 an das E-Card- System angebunden. Die Wahlärzte sollten in Zukunft stärker in die Pflicht genommen werden.
Zusammenfassung: Die österreichische Gesundheitsversorgung ist im internationalen Vergleich noch immer sehr leistungsfähig. Problematisch ist jedoch die Entwicklung in Richtung (oft nicht versorgungswirksamer) Privatmedizin. Dem wird verstärkt mit qualitätsvoller Kassenmedizin (z.B. in Primärversorgungszentren) entgegengesteuert werden müssen.
© Mitten in Hernals